Vor Ort, Einführung: Dr. Antje Lechleiter

Kunstverein March. Manu Wurch. Eröffnung: Freitag, 24. Juni 2016. Einführung: Dr. Antje Lechleiter©, Freiburg
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Sehr geehrte Damen und Herren,
eine ungewöhnlich Ausstellung erleben wir heute mit den Werken von Manu Wurch hier im alten Pfarrhaus. Denn das, was hier in diesen Räumen zu sehen ist, stellt nur einen kleinen Teil der Ausstellung dar. Weiter geht es draußen, auf dem Hügel, am Bach und im Englischen Garten. Manu Wurch, die unweit von hier in der heutigen Weinbergstrasse 7 geboren wurde, hat die ihr seit Kindertagen bestens vertraute Umgebung zum Ausgangspunkt ihres Ausstellungskonzeptes gemacht. Sie schickt uns auf eine Entdeckungsreise, die an dem Ort startet, wo sie als Kind fasziniert beobachtete, wie bei starkem Regen die Erde des Berges in den Bach lief und ihn braun färbte. Sie erinnert sich, wie sie durch Zaunlöcher schlüpfen musste, um den damals noch wilden Wald mit armdicken Lianen und undurchdringlichem Gestrüpp zu betreten, der inzwischen wieder in einen Englischen Garten zurückverwandelt und öffentlich zugänglich ist. Und sie fragt sich, was denn nun schöner ist: Der echte Wildwuchs oder die geplante Natürlichkeit einer gezielten Gartengestaltung. Diese Gedanken über den öffentlichen Raum und die Verantwortung für seine Gestaltung ziehen sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung.
In diesem unten Raum kreist sie um das Thema „Bach“, oben um das Thema „Berg“, doch die Ausstellung geht – wie gesagt – im Außenraum weiter. Denn für Manu Wurch besitzt das in der Natur mit allen Sinnen Erfahrbare eine weitaus größere Kraft als ein im Atelier gemaltes Bild oder eine aus verschiedenen Bestandteilen zusammengefügte Skulptur. Ihr Atelier ist daher in erster Linie die Landschaft und ihre Kunst hat immer sehr stark mit ihrer Wahrnehmung von Natur zu tun. Sehr deutlich wird dieser Ansatz hier unten, wo sie nicht nur Fotografien, Arbeiten auf Papier und Bildobjekte zeigt, sondern auch Moose, die sie aus dem Bach geholt und aufgehängt hat. Sie tropfen ab, trocknen und werden zu Skulpturen, die man nur finden, nicht aber erfinden kann.
Die hier unten ausgestellten Fotografien vom Bach wurden mit dem Handy aufgenommenen, nicht weiter bildbearbeitet und auf Aluminiumplatten aufgebracht. Sie bringen uns das Wasser und seine Pflanzen in den Innenraum und sie zeigen auch das, was Manu Wurch ganz besonders faszinierte – das Spiel des Lichtes auf der Wasseroberfläche. Ihre erste Idee zu dieser Ausstellung war es, vorübergehend einen begehbaren Holzpfad im Bach zu installieren. Jener sollte vor dem alten Pfarrhaus beginnen und bis zu ihrem Elternhaus führen. Dieser Entwurf wurde vom Landratsamt nicht genehmigt, doch draußen am Bach finden Sie neben einem Paar Gummistiefel eine Fotomontage, die zeigt, wie diese Vermessung eines Wasserweges ausgesehen hätte. Mit allen Sinnen sehen, gehen, stehen – ich bin mir sicher, dass Manu Wurch begeistert ist von Christos „Floating Piers“, die gerade zwei Inseln des Iseosees mit dem Festland verbinden.
Auf seiner Hochzeitsreise besuchte der Komponist Felix Mendelsohn-Bartholdy mit seiner Frau den Park des Hugstetter Schlosses und Cecilie fertigte eine Skizze vom Aussichtsturm an. Manu Wurch fragt sich schon lange, wo Mendelsohns Frau wohl gestanden haben mag, als sie an ihrer Zeichnung arbeitete. Hier in der Vitrine liegt ein Skizzenbuch, in das Manu Wurch die Zeichnung übertragen und ihre persönlichen Fragen dazu notiert hat. Es gibt auch eine Glasscheibe mit dem Motiv, die wir wiederum nach draußen mitnehmen können, um vor Ort hindurchsehen und um zu prüfen, ob es wirklich einen zu diesem Hügel exakt passenden Punkt gibt, oder ob die Skizze nicht vielmehr später und aus der Erinnerung heraus gestaltet wurde. Wie Sie vielleicht wissen, besteht der Plan, das Gebäude, von dem heute nur mehr das oktogonale Fundament übrig geblieben ist, wieder aufzubauen. Manu Wurch hat aber eine ganz andere Idee, wie man die historische Situation aufgreifen und ins Bewusstsein zurückrufen könnte. So hat sie die erwähnte Skizze nochmals auf Plexiglas aufbringen und an einem Standort unterhalb der Fundamentreste fest montieren lassen. Der Parkbesucher kann nun durch die Scheibe hindurch in die Landschaft blicken und dabei entsteht eine Überblendung des heutigen Gartens mit der historischen Skizze. Wir schauen quasi aus der Gegenwart heraus und zurück in die Vergangenheit.
Eine weitere Ortsmarkierung hat bei der ehemaligen Mönchsklause stattgefunden, wo die Künstlerin etwas ausgesät hat. Ich sage „etwas“, denn was es ist, weiß auch ich nicht. Doch in den nächsten Wochen werden dort Pflanzen in dem von der Natur vorgegebenen Tempo wachsen. Eine Aufnahme zu diesem Projekt finden Sie gleich hier drüben.
Inzwischen lebt die Künstlerin in Solothurn, doch da ihre Eltern hier in der March wohnen und sie über ein Atelier in Freiburg verfügt, weilt Manu Wurch nach wie vor oft in unserer Region. Die ausgestellten Fotografien und auch das ausgelegte Buch mit der Fotodokumentation zeigen ihre Einbeziehung der heimatlichen Landschaft und ihre Auseinandersetzung mit der Dimension „Zeit“. Schon seit 4-5 Jahren ist Manu Wurch immer wieder hier vor Ort tätig, die Künstlerin ist über den Berg gewandert und hat kleine Eingriffe in die Natur vorgenommen. Dies geschah ohne weitere Hinweise, die Künstlerin wollte niemanden auf ihre Interventionen stoßen, sie wollte lediglich ihre eigene Wahrnehmung für andere sichtbar machen. Jetzt – und angesichts der Fotografien – werden sich vielleicht einige von Ihnen an diesen seltsamen Holzstapel, an das zu einem liegenden Stamm geordnete Holz oder an den gesalbten, toten Baum erinnern. Letzterer findet sich nun im oberen Teil der Ausstellung und ein Video hält das Anlegen der Gipsbinde fest. Nachdem sie den Baum über zwei Jahre hinweg zu verschiedensten Jahreszeiten fotografisch dokumentiert hat, ist er nun – zufälligerweise – vor 3 Monaten umgefallen und es war klar, dass er hier in der Ausstellung anwesend sein musste.
Oben, gleich rechts von der Treppe finden Sie dann ein Foto, das diesen – schon erwähnten – gefällten und zerhackten Baum zeigt, der von der Künstlerin wieder zusammengefügt und auf dem Waldboden quasi nachmodelliert wurde. Auf der Aluminiumplatte leuchten die Schnittstellen im Holz – so wie damals bei der Aufnahme im winterlichen Abendlicht – wunderbar hell auf und Sie sehen, dass die Künstlerin auch hier wieder mit bereits vorhanden Wahrnehmungsereignissen gerarbeitet hat. Dazu sagt sie selbst:
„Letztendlich ist alles da und es muss nur wahrgenommen werden, vielleicht reicht dies schon, wenn die Augen wach sind und der Geist still.“
Manu Wurch hat sich für diese Ausstellung einen großen Freiraum gegeben, zumeist arbeitet sie nämlich sehr streng konzeptuell. Grundsätzlich ist sie aber sehr materialaffin, das sehen Sie auch bei diesem Blatt, für das sie Schwämme auf Papier abgedrückt hat. Unterstützt durch die Farbigkeit entsteht dabei ein moosartiger Charakter. Auch diese monochromen Bilder nehmen das Wesen von Pflanzengeflechten auf. Sie sind aus einer malerischen Abstraktion hervorgegangen, bei der mit Malachiten und anderen Pigmenten der Eindruck von Moos nachempfunden wurde. Wieder wurde aber nicht mit dem Pinsel, sondern mit Schwämmen gearbeitet.
Im oberen Stockwerk finden sich weitere monochrome Bilder, in denen die Künstlerin mineralische Pigmente aufgetragen hat. Hier kam das Eisenoxid zum Einsatz, das Manu Wurch auf „ihrem“ Berg fand und das – wie erwähnt – früher oft den ganzen Bach braun färbte. Die Bilder sind im Atelier entstanden, dort wurde die Erde gesiebt und wieder mit einem Schwamm in zahlreichen Lagen entweder direkt auf die Leinwand oder auf ein Papier aufgetragen. Bei dem großen Format klebte sie dieses Papier mit Knochenleim auf die Leinwand. Da diese Papiere zwar reißfest aber extrem dünn sind, drückt sich die grobe Struktur der Leinwand dabei auf die Oberfläche durch. Dies ist sehr wichtig, denn das Eisenoxid mit seiner kristallinen Struktur lagert sich an den erhabenen Stellen der grob gewobenen Leinwand ab und baut sich selbständig zu Erhebungen, zu Verdichtungen auf – gerade so, als würde sich der Stein an diesen Punkten wieder zusammenfügen. Die auf diese Weise entstehende Struktur interessiert die Künstlerin, denn in ihren Arbeiten sucht sie immer wieder nach Möglichkeiten, Strukturen weitgehend ohne ihr eigenes Zutun entstehen zu lassen. So haben sich diese oben gezeigten, monochromen Bilder zu einem gewissen Teil selbst gemalt, die Künstlerin hat den automatisch ablaufenden Prozess nur durch die Auswahl der – zuvor genau auf ihre Eigenschaften hin überprüften – Materialien und die Bewegung des Schwammes unterstützt.
Ein ganz ähnlicher Gedanke steht hinter dieser Arbeit. Für sie wurde Tusche auf eine wasserabstoßende Folie aufgebracht. Die Farbe floss dabei unkontrollierbar zu kleinen Inselchen zusammen, die dann mit dem Papier abgenommen wurden. Erproben und Finden gehen also bei Manu Wurch Hand in Hand und genau diese Prozesse von Wahrnehmung und Bewusstwerdung unterstützt die Künstlerin mit ihren Arbeiten.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Werke von Manu Wurch lehren uns das Sehen, sie schulen unseren Blick und zeigen Wege auf, wie eine scheinbar vertraute Umgebung neu erlebt werden kann. Indem sie auf Gefühlserfahrungen beruhen, denen wiederum eine Naturerfahrung vorausging, beziehen diese Arbeiten alle Sinne ein, und sie vermögen uns das Nahe fern und das Ferne nahe erscheinen zu lassen. Im zeitlichen wie im räumlichen Sinne.