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Stella Barmettler, Kunsthistorikerin,
Haus der Kunst St. Josef, Solothurn
24.04.2009

Aus schwarzen Linien – oder vielmehr aus Spuren voller Präsenz und stiller Autorität – die sich in einem natürlichen Rhythmus und Harmonie auf und durch das Papier ziehen, erstehen die Arbeiten von Manu Wurch. Gezielt setzt die Künstlerin Tusche und Papiere, deren verschiedenen Eigenheiten, die mannigfaltigen Nuancen von Körnung, Faserung und Saugfähigkeit sowie die farblichen und optischen Differenziertheiten ein. Durch das Eintauchen der gefalteten Papiere in die Tusche entstehen zeichnerische Strukturen, Linien, eigentliche Fährten, die mäandrieren, sich verdichten, verästeln, ihren Weg durch das Papier saugen und wieder auflösen – kraftvolle Formelemente trotz oder gerade wegen ihrer Schlichtheit.
Das Übereinander-Ordnen der Bögen, die dadurch entstehenden beinahe verletzlich wirkenden Schichten und fragilen Strukturen und in den neusten Arbeiten das Trennen des Bogens erschaffen eigentliche Tiefen und definieren so auf der Leinwand Räume voller Licht, in denen die Tuschlinie und -flächen in ihrem natürlichen rhythmischen Fluss diese Räumlichkeit noch steigern.

Bei Manu Wurchs Werken ist dieser Eindruck nachhaltig, es ist der einer kontemplativ ausgeprägt zeichenhaft wie grosszügigen Geste der Ruhe und Energie, der Konzentration und einer spirituellen Geschlossenheit, die westliche und fernöstliche Momente vereint.

Manu Wurchs Werke sind ein Sichtbarmachen von Nicht-Fassbarem – Bilder, die uns die Schlichtheit, den Rhythmus des von ihr Gestalteten und der Natürlichkeit in der Materialität in seiner ganzen Verschiedenartigkeit und Reichhaltigkeit erleben lassen, was ihnen eine erhabene und sinnliche Schönheit verleiht.
Denn alles Nebensächliche und Beiläufige ist Manu Wurchs Malerei zurückgenommen. Und Trotzdem – oder gerade dadurch – sind die Arbeiten in steter Bewegung.
Und diese Bewegung im Bild – das Sich-Zusammenballen und Wieder-Auflösen, das leise aber auch zugleich kraftvolle Fliessen und Vorwärtsdrängen, lassen eine erfrischende Stille und geistige Freiheit sowie eine Atmosphäre von Ruhe und Konzentration in Wurchs Arbeiten erstehen.
Wenn Manu Wurch diesen feinen Differenzierungen nachspürt, löst sie sich somit gänzlich von allem Sichtbaren. Wurch reduziert ihre Malerei auf Grundsätzliches wie Raum, Licht, Luft, Klang, Bewegung – Eigenheiten, die wir erspüren und auch physisch erfahren müssen und dürfen.

Es sind somit keine spezifischen, ortsgebundenen Bilder, sondern vielmehr Räume von imaginärem Wert, die die Künstlerin aus vielfältigen Tuschestrukturen und -verläufen erschafft – eigentliche Klänge, die sich in ihrem spezifischen Rhythmus über und in die Bildfläche erstrecken und eindringen.
Ihre Werke sind immer im Zustand der Veränderung und Erneuerung und bewahren sich so ihre ungeheure Präsenz. Es ist diese Fragilität und Leichtigkeit, aber auch ihre energievollen Rhythmen, die sich über die Leinwand drängen, die Wurchs Werke stark machen.
Es geht somit in Wurchs Arbeiten um den Eindruck, das Fühlen von Raum, Struktur und Klang. Wir Betrachter müssen uns in die Bilder versenken. Wir müssen den Rhythmus, die Klangfülle und die Tiefe der Werke spüren, um die unbedingte künstlerische Aufrichtigkeit zu verstehen.

Manu Wurchs Arbeiten sind kein Abbild der uns umgebenden Welt, sondern Träger der inneren Vorstellungskraft. Sie sind sensible Erscheinungen – Erinnerungen und Ahnungen zugleich. Ihre Fülle des Lichts, ihre Weite und Stille heben sie aus dem alltäglichen Kontext heraus und befreien sie von der materiellen Last.
Ihre Werke strahlen eine kontemplative Ruhe und Konzentriertheit aus. Es sind zeitlose, meditative Arbeiten von einer eindringlichen Präsenz, aber auch voller Stille und Vielschichtigkeit – ein sinnliches und geistiges Erlebnis für uns Betrachter.
Geniessen Sie es!